Gedicht des Monats Oktober

Wenn sich die Amöbe
nicht durchs Wasser schöbe

Hätt sie mehr als eine Zelle
und im Kopf nicht eine Delle,
flög sie in der Sommerhelle
mit ‘nem Gleitschirm herrlich schnelle
über jede Meereswelle.

Hätt sie mehr als eine Zelle,
stieg sie aus der engen Pelle,
suchte in der Kleinstadt Melle
Öl aus tiefer Erdenquelle,
äße gerne Tagliatelle.

Doch sie hat nur eine Zelle,
beißt in keine Frikadelle,
tritt auch über keine Schwelle,
schöpft die Weisheit nicht per Kelle,
baut sich keine Zitadelle.

Keine Kalorientabelle,
nichts mit Fasching und Kamelle.
Alles Leere, Bagatelle.
Aber ohne diese Zelle
wär hier nichts an seiner Stelle.

Wär der Zoo ohne Gazelle
und der Fluss ohne Forelle,
nirgends flöge ‘ne Libelle,
reifte keine Mirabelle,
Hunde machten kein Gebelle.

Stille wär an ihrer Stelle,
weit und breit nicht ein Geselle
freute sich an Tagliatelle,
schöb nicht die Amöbenzelle
dumm sich durch die Wasserwelle.

Ein ungewöhnlich schönes Bilderbuch

Es ist gerade bei Sauerländer erschienen: das wunderbare Bilderbuch „Wenn du einen Wal sehen willst“ von Julie Fogliano und Erin E. Stead (s. auch unter Übersetzungen).

Fogliano ist es gelungen, in wenigen Zeilen die Ruhe und Stille zu schaffen, die nötig ist, um einen Wal zu entdecken, ihm nahezukommen, das Geheimnisvolle des riesigen Meerestiers zu erspüren. Das erlebt auch der Leser, der sich statt auf eine Wale-Watching-Tour in dieses Buch mit seinen ganz reduzierten pastellfarbenen Bildern von Erin E. Stead begibt. Überall ist Raum für die eigene Vorstellung und das Gefühl von Erwartung, wenn man dieses Buch mit Kindern liest und betrachtet.

Übrigens: Im nächsten Jahr erscheint bei Sauerländer das zweite Buch von Fogliano und Stead: „Und dann ist Frühling“.

Bücherempfehlungen zum Regensburger Kinderlyrik-Seminar

Am 18. Juni habe ich im Germanistischen Institut der Universität Regensburg innerhalb des Lyrik-Seminars von Frau Dr. Svenja Blume einen Vortrag zur Bedeutung von Kindergedichten im Grundschulunterricht gehalten. Bei diesem Anlass habe ich versprochen, auf meiner Website eine Bücherliste zusammenzustellen. Diese Liste kann und will keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Sie ist rein subjektiv. Ich werde die Liste aber fortlaufend ergänzen.

Die Liste findet ihr unter Service oder direkt hier.

Gedicht des Monats August

Verwechslung

Malermeister Franz
packte eine Kuh am Schwanz,
wollt ihr malen schwarze Streifen,
was die Kuh nicht konnt begreifen.
Schwarz und weiß, na bitte sehr,
aber Streifen sind verquer.
Franz der Malermeister
tauchte ein koppheister
in den Eimer ihre Quaste,
was der Kuh erst recht nicht passte.
Unter lautem Brüllen, Rufen
schlug sie mit den Hinterhufen
ihm den Eimer aus der Hand.
Franz das gar nicht lustig fand.
Auch die Kuh kam nicht zur Ruhe,
schlug den Schwanz unter Gemuhe,
bis gescheckt Franz’ weißer Kittel,
schwarz gefleckt zu einem Drittel.
Dann erst drehte sie sich um
und fand wiederkäuend stumm
seltsam, was sie vor sich sah:
Wieso stand ein Ochse da?